Es lebe die neue Kaffeekultur. Hier wird nicht einfach getrunken – es wird genossen. In Wien sowieso. Vor allem aber in Münster.
Von Ludwig van Beethoven ist überliefert, dass er seinen morgendlichen Kaffee aus genau sechzig Kaffeebohnen brühte. »Typisch Künstler«, mag jetzt der durchschnittliche Kaffeetrinker des frühen 21. Jahrhunderts denken, während er sich eine Kapsel oder ein Pad in die Maschine legt oder einfach den Vollautomatenknopf drückt, um das Gebräu anschließend in einen Plastikbecher mit Schnabeltassenaufsatz zum Verzehr unterwegs umzufüllen. Der Kenner aber weiß: Beethoven war nicht nur ein musikalisches Genie. Der Mann hatte auch einen erlesenen Geschmack.
Und damit lag er in seiner Wahlheimat Wien genau richtig – schließlich sollte dort keine hundert Jahre nach seinem Tod die Kaffeehauskultur so richtig erblühen. Bereits zu Beethovens Zeiten zählte man in der Donaumetropole 150 Kaffeehäuser. Heute ist von mehr als 1.100 Cafés aller Art die Rede, von den 1.000 Espresso-Bars und Ähnlichem ganz zu schweigen. Das Kaffeehaus, es steht für die Entdeckung der Langsamkeit, hier darf der Gast bei einer Tasse Kaffee stundenlang die Zeitung lesen oder seinen Gedanken nachhängen und diese mit anderen austauschen. Literaten trafen sich hier, Maler, eine junge Bohème, welche die Kunst- und Kulturwelt revolutionieren wollte. Stefan Zweig schrieb in seinen Memoiren über das Wiener Kaffeehaus als eine »Institution besonderer Art, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist«. Was auch die Unesco so sieht und es 2011 in den Stand des immateriellen Kulturerbes der Welt erhob.
Fast unbemerkt von diesen offiziellen Würden macht sich eine neue Generation auf, Kaffee und Kultur zu einem genussvollen K und K der Moderne zu vereinen. »Brew Bar« nennen sich die trendigen Kaffeehäuser von Melbourne bis Kopenhagen, von Berlin bis New York, wo mit fast wissenschaftlicher Akribie am perfekten Geschmack geforscht und auf eine Art über die Aromen der verschiedenen Kaffeesorten gefachsimpelt wird, die bisher vor allem Weinkennern vorbehalten war. Und die dem
stiefmütterlich behandelten Filterkaffee zu einer geschmackvollen Renaissance verhilft.
Sandra Götting und Mario Joka, die Gründer der Münsteraner Kaffeerösterei Roestbar, die in der Unistadt auch mehrere Cafés betreiben, sind zwei herausragende Vertreter dieser neuen Kaffee-Kult-Generation. Für sie ist guter Kaffee kein Zufall. Sie sind rund um die Welt auf der Jagd nach neuen Rohkaffees und kümmern sich dabei nicht nur um die Bohne, sondern auch um Fairplay. Denn guter Kaffee beginnt für sie mit einem ehrlichen Händeschütteln mit dem Produzenten vor Ort. Und er endet mit der perfekten Zubereitung. Darin ist Erna Tosberg die unangefochtene Meisterin. Bereits zwei Mal wurde sie Deutsche-Barista-Meisterin der Speciality Coffee Association of Europe (SCAE). In der Kaffeeschule der Roestbar lehrt sie die perfekte Zubereitung. Und die ist vor allem eines: kompromisslos. Das perfekte Gewicht wird genau ausgerechnet und gewogen – für einen Liter Kaffee werden 60 Gramm Kaffeebohnen verwendet, das Wasser muss genau 94 Grad heiß in genau zweieinhalb Minuten nach und nach aufgegossen werden. Zuvor wurde noch der Filter mit brühendem Wasser gespült – damit ja kein Geschmack von Papier in den Kaffee gelangt. Beethoven hätte seine wahre Freude daran gehabt.
So wird’s gemacht:
- Kaffee wiegen
Für einen Liter Kaffee werden laut SCAE-Gold-Cup-Standard 55 bis 60 Gramm Kaffeebohnen verwendet - Mahlen
Je feiner der Mahlgrad, desto kürzer die Kontaktzeit mit dem Wasser. Für klassischen Filterkaffee wird ein mittlerer Mahlgrad empfohlen. - Filter nässen
Bevor der Kaffee eingefüllt wird, den sauerstoffgebleichten Papierfilter mit heißem, aber nicht kochendem Wasser überbrühen und wegschütten. - Aufgießen
Zuerst nur so viel von dem 94 Grad heißen Wasser angießen, dass das Kaffeepulver gerade feucht ist. 30 Sekunden ziehen lassen. Dann in 2 Minuten 30 Sekunden das restliche Wasser in Abständen von 30 Sekunden aufgießen.
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